Claudia Wahjudi⎟ Bürgerin unter Bürgern ⎟2004/2011

Claudia Wahjudi⎟ Bürgerin unter Bürgern ⎟2004/2011
Wie Grenzflüsse teilen die großen Berliner Straßen die Bezirke, scheiden sie in dunkle Viertel hier, bunt renovierte dort, in solche mit Alt- oder Neubauten, mit vielen jungen Menschen oder mit wenigen. Das Leben jenseits des Damms ist ein anderes. Auch im Stadtteil Neubritz teilen Schneisen die Wohnquartiere, trotzdem ist hier alles etwas anders. Britzer Damm und Buschkrugallee grenzen das Viertel von den benachbarten Gebieten ab, doch das neue Autobahnstück mittendrin trennt die Anwohner nicht, sondern bringt sie zusammen. Denn über der unterirdischen Trasse wurde der Deckel zugemacht und der Carl-Weder-Park angepflanzt. Seit 2001 ist er Mittelpunkt des Sanierungsgebiets mit den neuen und alten Häusern, in denen Grundschüler und Rentner wohnen, Muslims, Christen und Religionslose, Selbstständige, Arbeitslose und Angestellte, junge Mütter und Jungs aus Gangs. Der Park ist so etwas wie ein Verkehrsknotenpunkt für all diese verschiedenen Menschen und eine Begegnungsstätte ohne Dach und Programm.

Hier wird sommers die Werkstatt für Veränderung aktiv, ein Kunstprojekt, das die Berliner Künstlerin Seraphina Lenz leitet. Schon von Weitem ist es an der hellblauen Farbe mit dem Schmetterlingslogo zu erkennen. Hellblau leuchtet der Werkstattcontainer, hellblau sind die Overalls des Reinigungsteams, das zu Beginn der Kunstsaison Papier und Hundehaufen vom Rasen liest: eine unaufgeregte Farbe, die im Grün des lang gestreckten Parks sehr plastisch wirkt. Hellblau waren also auch die 1.000 Heliumballons, die 2002, im ersten Jahr Werkstattjahr, an Bänken, Zäunen und Schülerhänden zerrten oder einfach in den Himmel flogen. Und lichtblau waren die Liegestühle, welche die Werkstatt im Jahr darauf auslieh und die den Park seitdem wie ein Strandbad aussehen lassen - für den Verleih sorgt heute die benachbarte Pizzeria. Im Sommer 2004 widmete sich die Werkstatt dann dem Thema Licht, unter anderem mit einem Vorleseabend unter Stehlampen, einer einwöchigen Lampionwerkstatt für Kinder und einem Treffen der Nachbarn, die mit mitgebrachten Lichtquellen ihren Park erhellten. All diese Aktionen haben das Aussehen des Parks zeitweilig variiert - durch einen Gebrauch, der über die von der Parkarchitektur vorgeschlagenen Möglichkeiten hinausgeht und allmählich den Eindruck von der Grünanlage verändert. An den Lichterabenden etwa wirkte der Carl-Weder-Park einladend und anheimelnd, statt Angst einzuflößen, wie es Großstadtparks im Dunkeln sonst gern tun.

Die Werkstatt für Veränderung arbeitet im Auftrag des Bezirksamts Neukölln, das auf der Suche nach Identität stiftender Kunst für den Park einen Wettbewerb auslobte. Dennoch macht sie keine Auftragskunst im herkömmlichen Sinn – offen ist, was der Auftraggeber letztlich erhält. Denn die Werkstatt fügt der Landschaftsarchitektur nichts Bleibendes hinzu, sondern begreift bereits die Nutzung des Parks als Gestaltung. Die kann sie zwar planen, die Verwirklichung aber liegt in der Hand der Anwohner. Die Werkstatt macht nur ein Angebot, und das unterscheidet sie von vielen künstlerischen Arbeiten im Stadtraum. Weder stellt sie eine Skulptur auf, noch betreibt sie Kunstpädagogik, noch macht sie Projektkunst, gründet also nicht gemeinsam mit Anwohnern soziale Einrichtungen oder, wie in Hamburg geschehen, einen ganzen Park. Kurz: Die Werkstatt arbeitet nicht auf ein konkretes Ergebnis hin. Eher könnte man ihre Aktionen „performative Interventionen“ nennen: einmalige Aufführungen, die kurz in das Neubritzer Leben eingreifen. Von solch einer Aufführung bleibt nichts außer der Erinnerung und Souvenirs wie Postkarten. Gerade das macht sie so einprägsam: Weißt du noch, damals?

Die Werkstatt provoziert nicht. Sie passt sich der Umgebung so weit an, dass die Handschrift der Künstlerin zu erkennen bleibt, im Vordergrund jedoch die Nachbarn stehen. Ohne deren Teilnahme gäbe es das Projekt nicht. Folglich muss die Werkstatt auf Kritik und Anregungen reagieren, Pläne ändern, verbindlich sein. Seraphina Lenz kommt jeden Sommer wieder, voraussichtlich zehn Jahre lang. Auch das unterscheidet ihr Projekt von denen anderer Künstler, die nach getaner Arbeit abreisen und nur über Umwege erfahren, wie Nachbarn und Passanten auf diese reagieren. Die Werkstatt für Veränderung handelt also auch von Gespräch und Austausch, von Geben und Nehmen. Sie ist, wenn man so will, sehr demokratisch: nicht im Sinn einer Staatsform, sondern im Sinn einer gleichberechtigten Teilhabe an der Gestaltung des öffentlichen Lebens.

Mit ihrer demokratischen Haltung thematisiert die Werkstatt für Veränderung eine Kritik an Kunst im Stadtraum, die vor allem von Künstlern selbst geäußert worden ist. Zunehmend anmaßend erschien in den 90er Jahren die Absicht, den Stadtraum weiter mit Skulpturen, Plastiken, Objekten zu möblieren, die mit den zahlreichen Eingriffen von Behörden und Firmen in den Stadtraum zu konkurrieren hätten und um deren Anwesenheit die anderen Nutzer der Stadt nicht gebeten hatten. Zu viel ist zu viel. Zudem kursierte die Frage, welches Recht der Künstler habe, Anwohnern und Passanten ungefragt Kunst aufs Auge oder Ohr zu drücken, sie mit Sinneseindrücken zu behelligen und ihre Wahrnehmung zu manipulieren, wo doch auch er nur „Bürger unter Bürgern“ sei, wie es die Bildhauerin Inge Mahn einmal formulierte. Die Werkstatt für Veränderung kennt diese Skrupel. Seraphina Lenz interveniert auch deshalb so zurückhaltend im Carl-Weder-Park, weil in Neubritz bereits der Autobahnbau viel verändert hat – und Kunst nicht das I-Tüpfelchen auf den städtebaulichen Zumutungen werden soll.

Kunst im Stadtraum tritt bescheidener auf. Die Zeit der großen Gesten ist erst einmal vorbei; wer sie dennoch bemüht, weiß, dass er damit vor allem zitiert. Für die Zurückhaltung gibt es jedoch auch nüchternere Gründe als bürgerschaftliche Bescheidenheit. Das sind zum einen die leeren öffentlichen Kassen: Wenn sich eine Kommune heute Kunst im Stadtraum leistet, dann nur noch selten solche mit hohen Folgekosten wie eine Brunnenskulptur. Zum anderen haben Skulpturen, Plastiken und Installationen in den 90er Jahren verstärkt Staat und Wirtschaft gedient, haben Tourismus und Stadtmarketing zugearbeitet, den staatlichen Repräsentationswillen etwa mit Kunst an den neuen Regierungsbauten der deutschen Hauptstadt manifestiert und geholfen, Firmenidentitäten ins Stadtbild einzuschreiben wie bei DaimlerChrysler und Sony am Potsdamer Platz in Berlin. Wenn Künstler also flüchtige Interventionen längerfristigen Setzungen vorziehen, dann auch, um ihre Arbeiten dem Zugriff von Staat und Wirtschaft zu entziehen und auf dem Handeln in eigenem Auftrag zu bestehen, selbst wenn Staat oder Wirtschaft das Geld dafür geben. Zudem macht die aggressive Ausdehnung der Werbung im Stadtraum der Kunst dort tatsächlich Konkurrenz. Kaum eine Skulptur, kaum ein Wandbild kann so viel Aufmerksamkeit wie jene Reklamebanner gewinnen, die Hochhäuser auf ganzer Länge verhüllen. Und mit der Klanginstallation im Stadtraum dürfte es vorbei sein, wenn die Werbung tatsächlich, wie auf manchem Kongress debattiert, auch auf den Straßen akustisch wird. Kein Wunder, dass sich Skulptur und Installation, so sie unter freiem Himmel stehen sollen, in Landesgartenschauen und andere geschützte Räume geflüchtet haben.

Dort entgehen sie den aktuellen Fragen nach Sinn und Aufgabe von „Kunst im öffentlichen Raum“ und danach, was derzeit überhaupt als öffentlicher Raum und als Öffentlichkeit gelten kann. Die Straße, die längst nicht mehr jener Marktplatz ist wie vor der Erfindung von Telefon, Radio und Auto? Das Internet mit seinen Foren und Newsrooms, zu dem nicht alle Zugang zu haben? Medien wie Fernsehen oder Zeitungen, die nur Oneway-Kommunikation erlauben und meist in privater Hand sind? Diese Fragen haben an Dringlichkeit gewonnen, als in den letzten Jahren offensichtlich wurde, dass sich die Gesellschaften fragmentieren, dass sich die Milieus - getrennt nach Bildung, Einkommen und Lebensstilen - voneinander entfernen: im übertragenen, diskursiven Sinne genauso wie vor Ort in der Stadt. Unter diesen Bedingungen ist es schwierig, öffentlich zu agieren oder gar Öffentlichkeit mitzugestalten, zumal auch die Sprache der Milieus sich voneinander entfernen und zumal kein gleichberechtigter Zugang zu den Institutionen politischer Partizipation herrscht. Diskurs aber, in dem eine gemeinsame Sprache geübt wird, ist eine Möglichkeit, ein erster Schritt, um in der fragmentierten Gesellschaft Öffentlichkeit herzustellen: in Gesprächen von „Bürgern unter Bürgern“, in Begegnungen der Akteure des Stadtraums, in denen sich der Einzelne politisches Subjekt begreifen kann, wie die US-amerikanische Stadtsoziologin Saskia Sassen für die Bewohner der Global Cities hofft.
Im kleinen Neubritz regt die Werkstatt für Veränderung solche Gespräch an; sie regt sie auch nonverbal mit dem Einsatz gestaltender Elemente wie Liegestühle und Lampen an.
Im Neuköllner Carl-Weder-Park erweist sich damit nicht soziale Aktivität als plastische Tätigkeit, wie Beuys sie einst definierte – vielmehr erweitert sich im Parkalltag die plastische Tätigkeit um die soziale Aktion.

Claudia Wahjudi, 11/04
Veröffentlicht am
Kategorisiert in texts