Pierangelo Maset und Bill Masuch ⎟ Fragen an Seraphina Lenz ⎟2010

Pierangelo Maset und Bill Masuch ⎟ Fragen an Seraphina Lenz ⎟2010

Der Komplexitätsgrad der Arbeiten im Rahmen der Werkstatt für Veränderung ist enorm und vom einzelnen künstlerischen Objekt weitgehend abgelöst. Es gibt zwar die ästhetische Produktion von Flyern, Filmen, Plakaten et cetera, aber die Arbeit als Gesamtheit wird dadurch nicht erfasst. Wie lässt sich das Projekt den Betrachtern vermitteln, die es in der Regel nur ausschnittweise beobachtet haben?

Auch ich habe nur Ausschnitte vom Projekt mitbekommen, obwohl ich jeden Tag dabei war. Das liegt an der Art der Arbeit. Aber die zentrale Idee des Konzepts und die künstlerische Arbeitsweise kann ich erklären. Ich bin davon ausgegangen, dass die Benutzung der Fläche ein plastisch-gestalterischer Vorgang ist. Der Titel „Werkstatt für Veränderung“ beschreibt das künstlerische Arbeitsprinzip. Er sagt, dass hier eine Gruppe von Leuten tätig wird, dass es um Veränderung geht und dass diese mit Arbeit verbunden ist, lässt aber offen, wer zu der Gruppe gehört und um welche Veränderung es geht. Jedes Jahr habe ich mir eine Intervention ausgedacht, die eine augenfällige Veränderung bewirkte und dadurch visuell eine andere mögliche Nutzung andeutete. Angefangen habe ich zum Beispiel mit der Reinigung der Flächen, damit man sich ins Gras setzen konnte. Allen Interventionen liegen formale Überlegungen zugrunde. Die Reinigung zum Beispiel wurde immer von fünf Männern in hellblauen Overalls übernommen, die zuvor mit einem Trainer eine Choreografie eingeübt hatten. Es ging sowohl um den Sauberkeitseffekt als auch um die symbolisch-performative Qualität der Aktion, also um Sichtbarkeit.

Welchen künstlerischen Vorläufern würdest du dich als Künstlerin selbst zuordnen?

Ich habe bei Reiner Ruthenbeck in Münster studiert. Humor, Materialgenauigkeit und formale Reduktion spielten eine große Rolle, es wurde nicht besonders viel über Kunst gesprochen, trotzdem ging es um nichts anderes.
Weiterhin ist der Begriff der Plastik, wie ihn Joseph Beuys entwickelt hat, elementares Grunddenken, von dem ich ausgehe. Er hat gezeigt, dass ein plastischer Prozess ein Vorgang der Verfestigung ist, bei dem sich aus Flüssigem etwas Erstarrtes bildet, und das Prinzip erkannte er auch in gesellschaftlichen Prozessen. Damit erweiterte sich die Vorstellung davon, was eine Plastik sein kann. Eine öffentliche Debatte zum Beispiel, die bestimmte Meinungen reproduziert und im Denken vieler Leute verankert, hat am Ende materielle Auswirkungen.
Ein Bewusstsein für die Geformtheit der Welt zu schaffen ist eine von Beuys’ großen künstlerischen Setzungen. Er zeigt damit, dass die Welt durch den Menschen formbar ist. Kunst kann insofern eine gesellschaftliche Kraft sein und in sozialen Zusammenhängen wirksam werden.

Wie sind die Entscheidungen für die jeweiligen Projekte zustande gekommen?

Zum Wettbewerb hatte ich zunächst fünf von zehn möglichen Interventionen auf Grundlage von Beobachtungen im Park und Gesprächen im Kiez entwickelt. Es waren unterschiedliche Verwandlungen, die zu verschiedenen Handlungen anregen sollten, unkompliziert und direkt: der Park zum Sitzen und Sonnen, als Lesesaal bei Nacht, als Nahrungsquelle und Bewegungsraum.
Während der drei Wochen, die jedes Projekt dauerte, war ich jeden Tag da, um die Reaktionen der Leute direkt mitzubekommen. Daraus entwickelte sich die Werkstattarbeit am Container, und so entstanden auch die Ideen für die weiteren Projekte durch das Zusammensein mit den Anwohnern, von denen ich mittlerweile sehr viele persönlich kennengelernt hatte. Sie sagten: Der Park ist die Bühne, der Ort, wo man sich trifft, wo man eine Rolle spielt, wo man sich kennt und Geschichten erlebt. Filmpark und verborgene Talente beruhen darauf. Es ging nicht darum, eine außergewöhnliche Idee zu entwickeln, eine scheinbar banale Idee kann manchmal sehr viel brauchbarer sein und verbinden. Sie Wirklichkeit werden zu lassen ist dann das Besondere.

Warum spielen Alltagsästhetik und soziale Rituale bei dem Projekt eine so zentrale Rolle?

In meiner Arbeit spielt das Alltägliche generell eine große Rolle. Unmerklich und trotzdem sehr stark bestimmt es das Leben. Es spielerisch zu kippen und damit auf Distanz zu bringen hat mir immer Spaß gemacht, weil man dadurch Freiheit gewinnt und neue Möglichkeiten entdeckt.
Ich kann das am Projekt die grüne Nacht beschreiben: Die überwiegende Mehrzahl der rund 400 Bewohner eines Hochhauses hatte auf mein Betreiben hin die normalen Glühlampen in ihren Wohnungen gegen grüne ausgewechselt. Eine alltägliche Handlung in einem vertrauten Haus, das dadurch zu einem grünen Monument wurde, zur
Sehenswürdigkeit.
Im Park legte ich besonderen Wert auf direkte Verständigung. Komplizierte Vermittlungsanstrengungen kann man sich sparen, wenn man Bekanntes aufgreift. Das Kinderschminken zum Beispiel kennt jeder von Straßenfesten. Aber es steckt viel mehr darin. In den Schminksessions bei den Dreharbeiten im Park entfaltete sich daraus eine erstaunliche Poesie der Verwandlung. Der Park war nach und nach bevölkert von diesen verwandelten Geschöpfen, die nicht nur anders aussahen, sondern sich dadurch auch anders bewegten und mit der Situation spielten. In den Schminkszenen in Filmpark blickt man unmittelbar in die Gesichter der Kinder und spürt auch die Zuwendung, die sie durch die Visagistinnen erfahren haben.
Soziale Rituale hatte ich in meinem Entwurf als Möglichkeit gesehen, Verbindungen zu schaffen. Das schien wichtig an diesem Ort, der durch den Bau der Bundesautobahn regelrecht durchschnitten worden war. Mit der Zeit bildeten sich um das Projekt herum eine ganze Reihe dieser Rituale. Zum Beispiel haben wir jedes Jahr zum Abschluss des dreiwöchigen Projekts ein Fest gefeiert. Denn schon im zweiten Jahr fragten mich die Kinder: Wann findet dieses Fest wieder statt? So interpretierten sie die Situation, die die Werkstatt für Veränderung in drei Wochen geschaffen hatte. Das habe ich dann aufgegriffen, besser hätte ich es mir gar nicht ausdenken können.

Das Projekt hatte eine enorm lange Dauer von nahezu zehn Jahren, was ist in dieser Zeit mit dem Ort passiert?

In der näheren Umgebung sind Kitas und neue Spielplätze entstanden. An der Straße entlang des Parks wurden alte, zum Teil baufällige Häuser saniert oder abgerissen, neue wurden gebaut, die Schule hat einen Erweiterungsbau bekommen und öffnet sich dadurch stärker zum Park hin. Insgesamt ist das Gebiet attraktiver geworden für Familien mit Kindern. Im Projekt selbst bildete sich langsam eine community heraus. Menschen kamen immer wieder, trafen einander, lernten sich kennen, und jedes Jahr kamen neue hinzu. Im Park fand ein Generationswechsel statt: Die Wederboys, eine Gruppe Jugendlicher, die mir ganz zu Beginn erklärt hatten, sie seien hier die Besitzer, wurden erwachsen. Die um ein paar Jahre jüngeren Brüder und deren Freunde trafen sich nun im Park und übernahmen Rolle und Titel ihrer Vorgänger.
Die störungsanfällige Bewässerungsanlage wurde in den vergangenen Jahren nicht mehr in Betrieb genommen, Rasen gibt es kaum noch. Dafür ist die Vegetation vielfältiger geworden, Wildkräuter haben sich ausgebreitet. Seit Kurzem wächst sogar Rauke.

Welches der Projekte hat dich selbst am meisten überrascht?

Das war das Projekt bewegende Besucher von 2005. Da war ein großes weißes Pferd im Park zu Gast und graste, wo sonst Hundekot und Glasscherben liegen. Bei diesem Projekt haben mich gleich drei Dinge überrascht: zunächst, dass es überhaupt stattfinden konnte, das hing mit einer Verkettung glücklicher Umstände zusammen. Im Bezirksamt und der Senatsverwaltung hatte man mit größter Gelassenheit auf das Vorhaben reagiert. Ein Pferd ist ja immerhin ein ziemlich großes Tier, das sich im Zweifelsfall nicht an Vorschriften hält. Auch war die Reaktion der Anwohner nicht vorauszusehen gewesen, sie hätten zum Beispiel wegen der räumlichen Beschränkung protestieren können. Das Gegenteil war der Fall: Sie waren begeistert, ein Anwohner hielt sogar am Stall Nachtwache.
Das Erstaunlichste aber war für mich, wie sich hier das Mitmachen und Dabeiseinwollen von Tag zu Tag wie beim Schneeballprinzip weiter ausbreitete und die gesamte Stimmung im Park radikal veränderte. Mädchen hatten das Sagen. Das Unterhaltungsprogramm wurde selbst gemacht. Da ist etwas lebendig geworden und gewachsen, mit dem ich nicht gerechnet hatte.

Welche Grenzerfahrungen beziehungsweise Grenzüberschreitungen bezüglich des Systems Kunst und des realen Raums wurden gemacht?

Einmal kam ein junger Mann vom Wederpark-Projekt in unsere Galerie in der Brunnenstraße.1 Er hatte sich schick gemacht und wurde für einen saudischen Sammler gehalten. Das war so eine Grenzüberschreitung. Meist bringen sie Missverständnisse mit sich. Das Projekt war ein Balanceakt an dieser Grenze: Die Zusammenarbeit mit dem
Bezirksamt erforderte meinerseits klärende Gespräche, um die notwendige Eigenständigkeit des künstlerisch definierten Prozesses zu verdeutlichen und zu wahren. Während der Projektwochen war ich durch meine tägliche Anwesenheit im Park Adressatin für viele Probleme und Ansprüche, denen ich Grenzen setzen musste. Denn zu leicht hätte das Projekt zum Service für alles werden können. Stattdessen hatte ich konkrete Vorschläge für gemeinsame Produktionen, wie zum Beispiel einen Film, eine Aufführung, ein großes Essen. Darauf konzentrierte ich mich nach Möglichkeit.
Im System Kunst führte die immanente Unscheinbarkeit des Projekts nicht gerade zu großer Aufmerksamkeit. Logisch, aber nicht zu ändern. Es passte nicht, möglichst viele Leute aus dem Kunstbereich in den Park zu locken, da sie nicht in den Prozess involviert waren. Warum sollten sie auch in einen Randbezirk von Neukölln kommen, in einen Park, wo nicht dauerhaft etwas sichtbar Künstlerisches passiert? Zum Beispiel: Frauen sitzen an Cafétischen, Kinder liegen auf Decken herum und schreiben, andere laufen mit selbst gebauten Rahmen durch die Gegend – was soll das sein? Eine Performance? Die meisten Leute aus dem Kunstzusammenhang, mich eingeschlossen, sind darauf trainiert, schnell zu erkennen oder zu definieren, was dazugehört und was nicht, und haben ein begrenztes Zeitbudget, sich Sachen zu widmen. Anfangs habe ich es sogar vermieden, anderen Künstlern zu erzählen, dass ich im Park zum Beispiel eine Laternenwerkstatt mache, weil das wie Basteln aussah – zugegeben, es war Basteln. Zumindest bis zu dem Moment, wo ich als Reaktion auf die Ungeschicklichkeit der Kinder im Umgang mit Stift und Schere und die stockende Produktion der Lichtkörper sie metergroße Kartons mit dicken Nägeln perforieren ließ und daraus ein Sternenhimmel entstand. Solche Kippmomente gab es viele. Während das Projekt lief, während der ganzen Jahre, war es schwierig, es argumentativ in den Kunstkontext hinein zu vermitteln. Dadurch hätte ich mich zu sehr über den Prozess gestellt. Vielleicht kann das vorliegende Buch rückblickend diese Vermittlung sein.

Welche Bedeutung hat das Projekt für deine weitere Arbeit als Künstlerin?

Die Bindung über diesen langen Zeitraum an diesen einen Ort und an die Menschen dort war eine prägende Erfahrung und eine Art Lebensschule. Ich habe gesellschaftliche Realitäten unmittelbar kennengelernt, viele Menschen aus unterschiedlichen Lebensumständen getroffen und erfahren, wie künstlerische Arbeit auf einer ganz elementaren Ebene Bildungsarbeit sein kann. Horizonterweiternd war auch die Zusammenarbeit mit Künstlern aus Tanz, Film und Literatur. Jedes Jahr bildete ich ein Team aus Leuten, die einander fremd waren und zunächst unterschiedliche Sprachen sprachen. Es ist eine Übung in Wahrnehmung und Verständigung, Prozesse zu initiieren, an denen sehr viele unterschiedliche Menschen beteiligt sind.
Die vielfältigen Vermittlungsaufgaben, die ich im Projekt erfüllen musste, gaben letztendlich auch Anlass dazu, über künstlerische Autonomie nachzudenken. Es scheint mir eine Chance der Kunst zu sein, sich momenteweise außerhalb der üblichen Verwertungslogik stellen zu können. Und auch das Risiko einzugehen, nicht verstanden zu werden. Das ist ein notwendiger Freiraum innerhalb meiner Arbeit.

Wodurch unterscheidet sich das Projekt von anderen partizipatorischen Ansätzen, zum Beispiel denen der 1990er Jahre?

Merkmale der Ansätze der 1990er waren ihre Heterogenität und die immense Diskursproduktion. Tagungen wurden veranstaltet, Künstlertexte entstanden. Und überall wurde Kritik geübt: Das partizipierende Publikum werde nur benutzt; die Kunst selber ließe sich instrumentalisieren, um soziale Missstände zu mildern, sie betreibe Harmonisierung und überdecke dadurch Konflikte; Künstler XY tauge zum Rollenmodell für neoliberales Denken – im schlimms-ten Fall, ohne dass er es merkt. Fragen von Hierarchie und Macht führten dazu, die Rolle des Künstlers immer wieder neu zu verwerfen.
Es war eine große Leistung, Problemfelder so umfassend und genau zu untersuchen. Vieles wurde klargestellt, gedacht, gesagt und aufgeschrieben. Dank dieser Debatten und auch dank radikaler Positionen wie der von Wochenklausur2 oder park fiction3 ist es heute möglich, reflektierter und auch nüchterner mit partizipatorischen Ansätzen zu operieren. Davon habe ich sehr profitiert. Man kann heute nun wirklich nicht mehr sagen, man habe nicht gewusst, dass Hierarchien und die Rollen der Teilnehmenden innerhalb eines partizipatorischen Projekts bedacht und im Einzelnen verhandelt werden müssen. Auch verbindet sich mit dieser Art von Projekten oft eine von außen erwünschte Zweckhaftigkeit. Das ist auch nicht per se schlecht, solange sie erkannt und mit der künstlerischen Arbeit vereinbart werden kann. Oder man begegnet dem äußeren Anspruch gleich im Vorhinein in Form einer selbst gestellten Aufgabe.

1 Galerie oqbo wurde im Mai 2008 von sieben Berliner Künstlern gegründet. www.oqbo.de
2 Wochenklausur ist eine Gruppe von Künstlern, die seit 1993 Interventionen ins Soziale unternimmt. Sie nutzt etablierte Kunstorte, von denen aus sie gesellschaftspolitische Defizite thematisiert und Vorschläge zur Verbesserung erarbeitet und umsetzt.
3 park fiction ist eine Initiative aus Anwohnern und Künstlern in Hamburg-St. Pauli, die sich Mitte der 1990er Jahren gebildet hatte, um am Elbufer einen öffentlichen Park zu entwerfen, obwohl für diesen Ort bereits ein Bebauungsplan beschlossen war. Das Netzwerk begann mit einer kollektiven Wunschproduktion für einen Park, erreichte große öffentliche Aufmerksamkeit und verhinderte den Verkauf der Fläche. Schließlich ist solch ein „fiktionaler“ Park an Hamburgs Elbufer entstanden.
Erschienen in: Seraphina Lenz, Werkstatt für Veränderung, Salon Verlag Köln 2011
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